Staatsregierung berät über aktuelle Situation in der Eurozone / Wirtschaftsminister Zeil und Finanzminister Fahrenschon: „Ja zur Solidarität, Nein zur Schuldenunion“ / 5 Eckpunkte für die bayerische Position zur Schuldenkrise
Bayern sagt Ja zur europäischen Solidarität, aber klar Nein zu einer europäischen Schuldenunion. Das ist das Ergebnis der heutigen Beratungen des Ministerrats zur aktuellen Situation im Euroraum, bei denen auch der Präsident des Münchner ifo-Instituts Prof. Dr. Hans-Werner Sinn und der Vorstandsvorsitzende der BayernLB Gerd Häusler zu Gast waren. Wirtschaftsminister Martin Zeil und Finanzminister Georg Fahrenschon: „Europa steht vor entscheidenden Weichenstellungen, über die wir offen diskutieren müssen. Die Staatsregierung bekennt sich ohne Wenn und Aber zum europäischen Einigungsprojekt, zum Erhalt und Erfolg des Euro und auch zur Solidarität in Europa. Ebenso unverrückbar ist für uns aber die Sicherung von Eigenverantwortung und Geldwertstabilität. Für die Staatsregierung steht deshalb fest: Alle Maßnamen, die in ein Europa als Inflations- und Transferunion münden, sind mit uns nicht zu machen. Das gilt insbesondere für Eurobonds. Sie sind nichts anderes als die Vergemeinschaftung von Schulden. Unser Ziel ist ein Europa als dynamischer Wirtschaftsraum auf der Basis solider Finanzen, einer stabilen Währung und hoher Wettbewerbsfähigkeit. Dabei kommt es entscheidend auf die Eigenverantwortung der von Überschuldung bedrohten Mitgliedsstaaten an. Sie haben es selbst in der Hand, die Regeln zur Haushaltsdisziplin ernsthaft und dauerhaft einzuhalten. Das geht nicht ohne schmerzhafte und nachhaltige Reformschritte.“
Nach den Worten Zeils und Fahrenschons müssen die Beschlüsse der europäischen Regierungschefs über die Stärkung des EFSF jetzt zügig umgesetzt werden. Mit der Ertüchtigung des EFSF lassen sich mögliche Risiken eines Flächenbrands bei einer etwaigen Insolvenz eines Krisenlandes eingrenzen. „Die wirkliche Lösung der Schuldengrenze besteht jedoch nicht in der permanenten Ausweitung von Hilfspaketen. Die Staatsregierung orientiert sich für ihre künftigen Entscheidungen an fünf klar umrissenen Eckpunkten“, so Wirtschaftsminister Zeil und Finanzminister Fahrenschon.
Diese Eckpunkte sind:
1. Die Schuldenkrise kann nur nachhaltig und ohne Schaden für Europa überwunden werden, wenn jeder Mitgliedstaat für seine Schulden selbst haftet. Für alle Hilfsmaßnahmen muss daher gelten:
• Hilfskredite dürfen nur gewährt werden, wenn ansonsten die Stabilität der Eurozone als Ganzes gefährdet wäre. Sie dürfen nur im Gegenzug zu Konsolidierungsmaßnahmen der Empfängerländer gewährt werden. Ist die Schuldentragfähigkeit eines Landes nicht mehr gegeben, darf eine Insolvenz nicht verschleppt werden.
Die nächste Tranche des Rettungspaketes für Griechenland darf nur unter den Bedingungen ausgezahlt werden, dass Griechenland seinen Konsolidierungsverpflichtungen vollständig nachkommt, dass die Troika die Schuldentragfähigkeit bestätigt und dass auch der IWF seinen Anteil auszahlt.
• Eine geordnete Umschuldung bei Insolvenz überschuldeter Länder muss möglich gemacht werden. Wenn ein Eurostaat seine Schulden trotz Hilfen in absehbarer Zeit nicht bedienen kann, muss er umschulden. Nicht die Möglichkeit von Insolvenzen beunruhigt die Märkte. Diese ist zu großen Teilen bereits in die Anleihekurse eingepreist. Die Unsicherheit über unkontrollierbare Folgewirkungen sorgt für Irritationen.
• Alle weiteren Schritte in Richtung einer Haftungs- und Transferunion wie z. B. die Einführung von Eurobonds müssen verhindert werden. Wir begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht hier Grenzen gesetzt hat. Gemeinsame Anleihen untergraben die Haushaltsdisziplin in Europa, sie belohnen Länder mit unsolider Finanzpolitik und bestrafen Länder mit solider Haushaltspolitik. Gemeinsame europäische Anleihen setzen zudem die disziplinierende Wirkung der Zinsspreads auf den Finanzmärkten außer Kraft. Eurobonds sind ungerecht, weil sie Lasten aus Fehlern anderer Eurostaaten vor allem Deutschland aufbürden und unser Land über jedes vertretbare Maß hinaus belasten würden.
• Wenn ein Mitgliedstaat nicht gewillt ist oder nicht in der Lage ist, die Konvergenzkriterien dauerhaft zu erfüllen und seine Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen nicht herstellen kann, muss die Möglichkeit bestehen, die Eurozone unter Aufrechterhaltung seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union wieder zu verlassen.
• Es ist alles daran zu setzen, die Unabhängigkeit der EZB sicherzustellen. Anleihekäufe durch die EZB sind hiermit nicht zu vereinbaren.
2. Die Hilfsmaßnahmen müssen demokratisch legitimiert sein und die Interessen der Steuerzahler wahren. Die Leistungsfähigkeit der helfenden Staaten darf nicht überfordert werden.
• Wir brauchen geordnete Verfahren zur Umschuldung überschuldeter Länder. Sie beseitigen Unsicherheiten an den Märkten und schützen die Nettozahler vor Überforderung.
• Primär gilt es, die Interessen der Steuerzahler in den helfenden Staaten zu wahren. Ihre Risiken müssen durch Beteiligung der privaten Gläubiger und dem Vorrang von Hilfskrediten gegenüber sonstigen Verbindlichkeiten begrenzt werden.
• Die Hilfsmaßnahmen müssen demokratisch legitimiert sein. Daher müssen alle wesentlichen Entscheidungen über Hilfskredite einstimmig getroffen werden. Haftungssummen dürfen nicht beliebig erhöht werden, Hilfskredite müssen befristet sein. Alle Hilfsmaßnahmen bedürfen der demokratischen Legitimation durch die nationalen Parlamente, in Deutschland durch den Bundestag und den Bundesrat. Der Bundesrat muss deshalb umfassend und fortlaufend über alle wesentlichen beabsichtigten Entscheidungen an den Rettungsschirmen unterrichtet werden, damit er hierzu Stellung nehmen kann. Die Bundesregierung soll verpflichtet werden, eine Abweichung von einer Stellungnahme des Bundesrates zu begründen.
3. Künftigen Fehlentwicklungen muss durch eine Stärkung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgebeugt werden.
• Das Defizitverfahren muss beschleunigt und mit schärferen - möglichst automatischen - Sanktionen versehen werden. Entscheidungen über die Verfahren müssen entpolitisiert werden. Hier sind wir mit dem Gesetzgebungspaket zur wirtschaftspolitischen Steuerung (sog. Sixpack) auf dem richtigen Weg. Wir fordern, dass das Gesetzgebungsverfahren möglichst rasch abgeschlossen wird, damit die Regelungen zeitnah in Kraft treten können.
• Die Wirtschafts- und Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten (sog. Europäisches Semester) müssen wirksam abgestimmt werden, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und bekämpfen zu können. Abzulehnen sind Bestrebungen, die Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum durch Schwächung der starken Volkswirtschaften zu egalisieren.
• Wir sprechen uns außerdem für die Einführung von harten Schuldenbremsen in allen Euro-Mitgliedstaaten aus. Alle Eurostaaten müssen zu ausgeglichenen Haushalten und Schuldenabbau verpflichtet werden.
• Mit dem Euro-Plus-Pakt streben die Mitgliedstaaten eine Angleichung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf höchstem Niveau durch verbesserte wirtschaftspolitische Koordinierung an. Dabei sind die Zuständigkeiten der nationalen Parlamente zu wahren.
4. Wir lehnen zusätzliche EU-Zuständigkeiten oder Institutionen ab
Überlegungen über eine europäische Fiskalunion, einen europäischen Finanzminister, eine Wirtschaftsregierung oder eine neue Staatsqualität wie die Vereinigten Staaten von Europa werden wir weiter entschieden entgegentreten:
• Weitere Zentralisierungsschritte würden die Ursachen der Krise nicht lösen. Gerade das Beispiel Griechenland zeigt, dass es nicht zu der Schuldenkrise kam, weil es zu wenig europäische Regelungen gab, sondern weil sie nicht eingehalten wurden.
• Kernentscheidungen müssen demokratisch legitimiert in den Mitgliedstaaten getroffen werden. Nicht demokratisch legitimierte Institutionen wie ein „Europäischer Finanzminister“ oder eine „Europäische Wirtschaftsregierung“ sind damit nicht vereinbar. Eine weitere Verlagerung von Entscheidungen auf europäische Institutionen wird wegen mangelnder demokratischer Legimitation von der Bevölkerung abgelehnt.
• Das BVerfG bestätigt sowohl in seinem Lissabon-Urteil als auch in seinem jüngsten Urteil vom 7. September 2011 zu den Euro-Rettungsschirmen, dass das Grundgesetz die Übertragung von Kernkompetenzen der deutschen Gesetzgebungsorgane auf die Europäische Union untersagt und damit den Schritt zum europäischen Bundesstaat verbietet. Die entsprechenden verfassungsrechtlichen Regelungen können in Deutschland nur mit Entscheidung vom deutschen Volk geändert werden. Voraussetzung für ein erfolgreiches Referendum wäre eine starke Akzeptanz der Bevölkerung für weitere Zentralisierungsschritte, die aber erkennbar nicht vorhanden ist.
5. Wir fordern, den bestehenden europäischen Ordnungsrahmen zu stärken
• Die Staatsregierung fordert, dass das Prinzip des Haftungsausschlusses (no-bail-out), nach dem jedes Land für seine Schulden selbst haftet, wieder gestärkt werden muss.
• Wir setzen uns dafür ein, dass Notkredite der Gemeinschaft nur als Ultima Ratio gewährt werden, gegen strenge Auflagen und unter Einbeziehung privater Gläubiger.
• Die Staatsregierung fordert, dass Zinsspreads bei nationalen Anleihen nicht vollständig künstlich eingeebnet werden dürfen. Deshalb müssen sich Zinsen für Hilfskredite am Marktniveau orientieren, denn die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte eine unsolide Finanzpolitik einzelner Mitgliedstaaten mit hohen Zinsen weit wirksamer sanktioniert als es politische Instrumente der Gemeinschaft vermögen.
• Wir fordern, dass dem EFSF eine direkte oder indirekte Finanzierung von Staaten ohne eine strikte Konditionalität und ohne Beteiligung des IWF an den Hilfen untersagt wird.
• Die Staatsregierung fordert, dass die Auszahlung von Hilfskrediten der Gemeinschaft eingestellt wird, wenn ein Land seinen Reform- und Konsolidierungsauflagen nicht nachkommt.
• Die Staatsregierung fordert ein geordnetes Umschuldungsverfahren, das sofort eingeleitet wird, wenn Staaten ihre Schuldenlast nicht mehr selbst bewältigen können.
• Die Staatsregierung setzt sich dafür ein, die Unabhängigkeit der EZB wieder zu stärken. Spätestens wenn der EFSF gestärkt und mit neuen Kompetenzen ausgestattet ist, muss Schluss sein mit Anleihenkäufen durch die EZB.
• Eine über die Beschlüsse des Eurozonen-Sondergipfels vom 21. Juli 2011 hinausgehende Ausweitung der Rettungsschirme EFSF und ESM lehnen wir ebenso ab wie die Einführung von Eurobonds.
• Forderungen nach einem europäischen Finanzminister, einer Fiskalunion, einer europäischen Wirtschaftsregierung oder gar einer neuen Staatsqualität in Form der Vereinigten Staaten von Europa lehnt die Staatsregierung ab.