Bayerns Kultusminister Spaenle und Nürnbergs Kulturreferentin Lehner diskutierten mit Historikern die Beziehung zwischen Geschichte und Identität von Menschen - Über 60 Veranstaltungen zur fränkischen und bayerischen Geschichte beim 2. Landesgeschichtsforum
NÜRNBERG/MÜNCHEN. Die Bedeutung von Geschichte und Heimat für die Identität des Menschen im global village diskutierten am gestrigen Freitagabend in Nürnberg Bayerns Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle und die Nürnberger Kulturreferentin Professorin Julia Lehner zusammen mit Landeshistoriker Prof. Ferdinand Kramer, Bezirksheimatpfleger Prof. Günter Dippold sowie Geschichtsdidaktikerin Prof. Charlotte Bühl-Gramer. In der Diskussion spielten auch greifbare Produkte und Formen der Kultur eine Rolle wie die Kaiserburg und Bürgerhäuser, Dialekt und Traditionen, sowie moderne Formen kommerzieller Vermarktung wie der Bamberger Domreiter und Albrecht Dürer als Spielzeugfiguren.
Die Podiumsdiskussion war eingebettet in das 2. Landesgeschichtsforum, zu dem die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und das Kulturreferat Nürnbergs gemeinsam mit zahlreichen Organisationen eingeladen hatten. Gestern und heute konnten Interessierte in der Noris die „Zeitmaschine“ besteigen und in rund 60 Veranstaltungen mit Experten an historischen Orten das Heute als Ergebnis des Gestern wahrnehmen.
Für Kultusminister Spaenle, selbst Landeshistoriker und Initiator der „Zeitmaschine“, prägt die Geschichte einer Region stark das Selbstbewusstsein der Menschen. „Auf dem Wissen über das eigene Gestern können Menschen Entscheidungen treffen - für die Zukunft.“ „Das Wissen, wo eine Person herkommt und wo sie steht, ist für den mündigen Staatsbürger in einer weltweit vernetzten Gesellschaft zentral.“ Heimat gebe vielen Menschen Kraft“, führte er aus. Dabei dürfe Heimat nicht verengt nur auf das eigene Dorf oder die Stadt, etwa Nürnberg oder München, bezogen werden, sondern müsse weiter gefasst werden, auch auf Bayern, Deutschland und Europa. Viele Länder gehen mittlerweile ebenso wie Bayern selbstbewusst mit ihrer regionaler Identität um, etwa Sachsen und Baden-Württemberg. Dabei dürfen aber nicht einzelne Phasen der eigenen Geschichte und Kultur ausgeklammert werden.
„Kein Medien kann das Lernen vor Ort ersetzen“
Kulturreferentin Julia Lehner: schilderte ihren Zugang zu Heimat und Geschichte. „In Nürnberg war Heimat selbstverständlich, es gab die Häuser, um die sich Geschichten rankten“, so die Historikerin zu ihrer Kindheit. Geschichte und Heimat würden in Nürnberg an außerschulischen Lernorten sichtbar und bereits den Grundschülern nahe gebracht, richtete sie den Blick auf die Kulturarbeit der Stadt. Das Kulturreferat verstehe sich als Dienstleister für Schulen, die Museen zeigen den historisch-genetischen Fingerabdruck verschiedener Zeiten, Personen und Entwicklungen. Das kulturpädagogische Zentrum stehe in engem Kontakt mit Lehrkräften. Für die Kulturreferentin „kann kein Medium das Lernen vor Ort ersetzen“.
Der Bund interpretiert die Kultur durch eine Initiative national neu
Ferdinand Kramer, Leiter des Instituts für Bayerische Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, richtete sein Augenmerk auf den Wandel der kulturellen Identitäten. Die Bundesrepublik entfalte derzeit eine enorme nationale Kulturidentitätsinitiative und deute damit für die Bürger Geschichte neu. Die Identitätsentwicklungen, die sich für die Menschen vor Ort und in ihren Regionen ergeben hätten, würden dabei massiv tangiert – im Positiven wie im Negativen. Da Identifikationsmuster das Handeln veränderten und umgekehrt das Handeln Rückwirkungen auf die Identität habe, bleibe diese Initiative nicht ohne Folgen. Der Landeshistoriker begrüßte es deshalb, dass der Freistaat von sich aus ein Kulturportal Bayern, ein Landesgeschichtsforum und ein Bayerisches Museum initiiere. Die Länder müssen für Kramer intensiv über moderne Identitätspolitik nachdenken – „offen zur Welt, aber wissend um das kulturelle Erbe und verantwortlich für das Gemeinwesen“. Dabei warnte Kramer vor einer seichten Kost im Sinne eines „mia san mia“. Für ihn umfasst eine Identitätspolitik neben emotionalen Aspekten auch viele rationale Elemente.
Der von vielen Lokalpolitikern nach Außen gepflegte Dualismus zwischen Franken und Bayern hat für Kramer heute „viele komödiantische Aspekte“. Die Hauptprobleme der Gegenwart liegen für ihn zwischen Stadt und Land.
Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger von Oberfranken, machte am Beispiel des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth die Offenheit Frankens für Bayern, Deutschland und Europa durch die Jahrhunderte deutlich. Das Gebäude - neu in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen - werde von Bayreuth und Oberfranken für sich beansprucht, müsse aber als Produkt von Künstlern und Architekten aus ganz Europa verstanden werden. Er deutete auch auf eine aktuelle Initiative, mit der Coburg das „Stadtgedächtnis“ digital erfasst und erschließt. Allerdings kritisierte Dippold, dass bestimmte Ausschnitte der Stadtgeschichte, etwa die „Machtergreifung vor der Machtergreifung“ bei der Initiative ausgeblendet werde. In Coburg habe die NSDAP als erste Stadt Oberfrankens einen OB gestellt.
Geschichte ist für Schüler aller Schularten wichtig
Für Geschichtsdidaktikerin Charlotte Bühl-Gramer spielen außerschulische Lernorte bei der Vermittlung von Identität für Kinder aus der Region, aber auch aus Zuwandererfamilien dabei eine wichtige Rolle. Es gehe darum, Schülern zu helfen, in einer „Mehr-Ebenen-Identität“ zurechtzukommen. Die Erlanger Wissenschaftlerin plädierte für ein starkes Fach Geschichte an weiterführenden Schularten. Landesgeschichte müsse an den Hochschulen wieder neu institutionalisiert werden.
2. Zeitmaschine als interessantes Angebot für Franken und Bayern
Nürnberg mit seiner reichhaltigen Geschichte und vielfältigen Museenlandschaft hat sich, so das Resümee der verantwortlichen Projektleiterin seitens des Bayerischen Kultusministeriums, Monika Franz, beim 2. Bayerischen Landesgeschichtsforum als idealer Standort erwiesen, der Geschichte des Landes, der eigenen Region und Heimat nachzugehen, und im und unter der Kaiserburg die Frage nach der eigenen Identität zu stellen. Dies zeigte sich auch bei vielen Veranstaltungen der Zeitmaschine an diesem Wochenende in Nürnberg. Zur ersten Zeitmaschine hatte die Landeszentrale für politische Bildung 2010 nach München eingeladen.
Dr. Ludwig Unger, Tel. 089-21862105