Elternverantwortung wurde beim Übertritt gestärkt - Dritte Online-Erhebung im Frühjahr – Entscheidung der Eltern ohne pädagogische Einschätzung würde soziale Ungleichheit fördern
MÜNCHEN. „Das Verfahren, nach dem in Bayern die Eltern zusammen mit ihren Kindern die Entscheidung über den Schulbesuch nach der 4. Klasse treffen, hat sich bewährt und die Übertrittsempfehlung der Grundschullehrkräfte ist in hohem Maße zutreffend. Zudem haben wir die Verantwortung der Eltern für den Schulbesuch ihrer Kinder nach der Grundschule deutlich gestärkt.“ Mit dieser Aussage tritt Bayerns Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle der Kritik des BLLV und der Landtags-Grünen zum Übertrittsverfahren entgegen. „Eine Elternentscheidung ohne pädagogische Einschätzung verstärkt nach Erkenntnis von Bildungsforschern die Ungleichheit. Mein Ziel ist es aber, dass alle Kinder nach ihren Begabungen bestmöglich gefördert und ihre Talente entdeckt und zur Entfaltung gebracht werden. Deshalb setze ich auf frühzeitige Information über mögliche Bildungswege, auf die Expertise der Grundschullehrkräfte, die sie mit ihrer Übertrittsempfehlung geben, und die verantwortliche Mitwirkung der Eltern bei dieser Entscheidung,“ ergänzte Minister Spaenle.
Am kommenden Mittwoch erhalten rund 100.000 Schülerinnen und Schüler die Übertrittsempfehlung, auf deren Grundlage diese sich bei den weiterführenden Schulen anmelden.
Der Minister verwies darauf: „Die Schulwahl nach der 4. Jahrgangsstufe ist nur eine vorläufige. Keine weiterführende Schulart versperrt den Weg für die Schülerinnen und Schüler zu dem Schulabschluss, den sie gemeinsam mit ihrem Elternhaus ins Auge gefasst haben.“ Über die Mittelschule und die Realschule nach der 4. Klasse kann das Kind seinen Weg ebenso wie über die Wirtschaftsschule nach der 6. Jahrgangsstufe zu einem mittleren Bildungsabschluss gehen. Im Anschluss an den ersten Abschluss können die Jugendlichen dann entweder eine Berufsausbildung durchlaufen oder sich schulisch weiterqualifizieren, z.B. über die Berufliche Oberschule. Kinder können mit ihren Eltern nach der 4. Klasse auch den unmittelbaren Weg zur Hochschulreife über das Gymnasium wählen.
Die TIMMS-Übergangsstudie von 2010 hat bewiesen, dass die Kinder – entgegen der Behauptungen des BLLV – keineswegs in der 4. Jahrgangsstufe von Bedrohungsängsten erfasst würden. Zugleich hatten die Bildungs- und Sozialisationsforscher Ditton und Krüsken nachgewiesen, dass die Übertrittsempfehlung, die Grundschullehrkräfte erstellen, und die damit verbundene Prognose in sehr hohem Maße valide sind.
Schüler erzielen Bildungserfolg in allgemeinbildenden Schulen und in der beruflichen Bildung
Mittlerweile werden über 43 Prozent der Hochschulzugangsberechtigungen über den beruflichen Weg, zwei Drittel davon über die Berufliche Oberschule, erworben. Der Minister machte in diesem Zusammenhang aber auch deutlich: „Bildungserfolg lässt sich nicht nur an dem Indikator Hochschulreife messen, auch die Qualifikationen der beruflichen Bildung sind von hohem Wert.“
Dritte Online-Erhebung an Grundschulen im Mai
Im Mai 2012 wird eine neue dritte Online-Erhebung zum veränderten Verfahren des Übertritts von Kindern der Grundschulen auf die weiterführenden Schulen durchgeführt. In diese werden wieder Lehrkräfte, Schulleiter und Elternvertreter von 700 Grundschulen einbezogen.
Übertrittsverfahren 2009 neu geregelt – mehr Elternverantwortung
Der Kultusminister hatte 2009 das Übertrittsverfahren verändert, um die Belastung der Kinder und ihrer Eltern zu senken: Auf der Basis einer Gesamtstrategie hat Ludwig Spaenle die Beratung von Eltern und Schülern über die Vielfalt der Schullaufbahnen intensiviert und die Verantwortung der Eltern beim Übertritt deutlich gestärkt – auf der Basis einer Übertrittsempfehlung durch die Grundschullehrkräfte und den sich dann gegebenenfalls anschließenden Probeunterricht.
Bis 2009 wurde der Übertritt allein von der Übertrittsempfehlung und dem Probeunterricht an der gewünschten Schule bestimmt.
Online-Erhebung 2011 ergab hohe Zustimmung zu bayerischem Übertrittsverfahren
In der zweiten Online-Erhebung im Mai 2011 hatten die Eltern und Lehrkräfte an 700 Grundschulen eine deutlich gestiegene Zustimmung zu dem neuen Übertrittsverfahren geäußert. Der Großteil der Eltern hatte etwa die ausführlichen Informationen zu Schullaufbahnen begrüßt, über 60 Prozent hatten die Ankündigung der Probearbeiten als erfolgreichen Weg gewertet, den Leistungsdruck zu reduzieren, ebenso den Ausweis von Prüfungsphasen.
Bildungsforscher skeptisch gegenüber Freigabe des Elternwillens
Zur Forderung, den Elternwillen bei der Schulwahl nach der Grundschule gänzlich freizugeben, sagt Minister Spaenle: „Wenn die Eltern allein, ohne pädagogische Empfehlung als Grundlage, über die Schulwahl entscheiden würden, wird dies nicht zu mehr Gerechtigkeit für unsere Kinder führen.“ Der Bildungsforscher Wilfried Bos von der TU Dortmund hat herausgefunden, dass nirgends der Bildungserfolg von Kindern stärker vom Elternhaus abhängig ist als in Berlin und Hamburg, wo die Eltern allein den Übertritt bestimmen. Während Akademikerfamilien – unabhängig von der Entwicklung ihrer Kinder - in der Regel automatisch eine Entscheidung für das Gymnasium als Lernort für ihre Kinder fällen, würden sich gerade Familien, die ihre Kinder nicht optimal unterstützen können, zurückhaltend gegenüber einer Entscheidung zum Gymnasium zeigen. Aus diesem Grund ist der bayerische Ansatz ein Weg, um Bildungsgerechtigkeit zu sichern.
Dr. Ludwig Unger, Tel. 089-21862105