Im Vorfeld anstehender Entscheidungen zur Staatsschuldenkrise im Euroraum hat die Bayerische Staatsregierung eine Gemeinsame Positionierung beschlossen. Europaministerin Emilia Müller: „Die Bayerische Staatsregierung bekräftigt ihren konsequenten Kurs in der Staatsschuldenkrise. Das Prinzip der restriktiven Rettung zur Bewältigung der Schuldenkrise hat sich bewährt und muss strikt weiter verfolgt werden. So konnten bislang in deutschem und bayerischem Interesse viele unverantwortliche Risiken für die deutschen Steuerzahler verhindert werden. Weder wird der dauerhafte Rettungsschirm ESM auf eine Billion Euro verdoppelt, noch wird es Eurobonds oder Banklizenzen für Rettungsschirme geben. Die Verschärfung des Stabilitätspaktes und die Vereinbarung eines Fiskalpaktes begründen einen Paradigmenwechsel hin zu ausgeglichenen Haushalten in der Eurozone, der nur dank der harten Linie Deutschlands möglich war. Um eine dauerhafte und substantielle Beteiligung des Internationalen Währungsfonds an der europäischen Rettungsstrategie sicherzustellen, werden jetzt Teile des vorläufigen Rettungsschirms EFSF und des dauerhaften Rettungsschirms ESM zeitlich befristet und begrenzt parallel laufen. Damit wird in der Übergangszeit bis zum vollständigen Aufbau des ESM die Vertrauensbildung auf den Märkten unterstützt. Eine tatsächliche Überschreitung der deutschen Haftungsgrenze ist dabei nicht zu erwarten.“
Die Gemeinsame Positionierung der Staatsregierung wird nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben:
Eckpunktepapier zur aktuellen Lage der Gemeinschaftswährung
Die Staatsregierung betont die herausragende Bedeutung der Wirtschafts- und Währungsunion für die europäische Integration. Der Euro als gemeinsame europäische Währung ist ein Erfolgsmodell. Er hat eine stabile Kaufkraft gesichert und durch den Wegfall von Wechselkursrisiken und mehr Preistransparenz die Rahmenbedingungen für Produktion, Handel und Dienstleistungen im Binnenmarkt deutlich verbessert. Deutsche und bayerische Unternehmen sparen auf diesem Weg Jahr für Jahr einen Milliardenbetrag an Währungssicherungskosten. Dies stützt unseren Export, von dem viele hoch qualifizierte Arbeitsplätze und der Wohlstand in der Zukunft abhängen.
Die Staatsregierung fordert deshalb zur entschlossenen Stärkung der Stabilität der Gemeinschaftswährung:
1. Das Prinzip des Haftungsausschlusses (no-bail-out) muss erhalten werden. Jedes Land muss für seine Schulden selbst haften.
Die Staatsregierung unterstreicht, dass Notkredite der Gemeinschaft nur gewährt werden dürfen, wenn ansonsten die Stabilität der Eurozone als Ganzes gefährdet wäre (Ultima Ratio), nur im Gegenzug zu strengen Auflagen und Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen der Empfängerländer, bei Beteiligung des IWF und unter angemessener Einbeziehung privater Gläubiger.
Alle Rettungsmaßnahmen sind vorrangig darauf auszurichten, die bestehende Überschuldung in den europäischen Ländern wirkungsvoll und zügig abzubauen. Gleichzeitig ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass in Zukunft keine erneuten Verschuldensprobleme in der Eurozone eintreten können. Die Staatsregierung fordert die Regierungen der Eurozone auf, wie im Fiskalpakt vorgesehen, durch eine mutige Ausweitung der Stabilitätskultur ihre Haushalte im vorgesehen Maß zu konsolidieren sowie durch eine koordinierte Wachstumsstrategie dafür zu sorgen, dass die bestehenden Wachstumskräfte bestmöglich gestärkt werden, damit sich eine derartige Schuldenkrise nicht wiederholen kann. Der Fiskalpakt ist streng einzuhalten. Politisch motivierte Rücksichtnahmen darf es nicht mehr geben, mögen die Konsequenzen im Einzelfall auch sehr schmerzhaft sein. Nur so lässt sich die Glaubwürdigkeit der Stabilitäts-Union wiederherstellen.
Die Strategie zur Rettung überschuldeter Eurostaaten muss Fehlanreize vermeiden. Zinsen für Hilfskredite sollen sich deshalb am Marktniveau orientieren, weil Finanzmärkte im Grundsatz eine unsolide Finanzpolitik einzelner Mitgliedstaaten mit hohen Zinsen weit wirksamer sanktionieren als es politische Instrumente der Gemeinschaft vermögen. Nur mit dem nötigen Reformdruck wird es gelingen, diejenigen Strukturreformen in Mitgliedstaaten mit mangelhafter Wettbewerbsfähigkeit anzustoßen, die erforderlich sind, auch um die Preisniveaus innerhalb der Europäischen Union wieder anzugleichen.
Zur Wahrung der Interessen der Steuerzahler ist es unabdingbar, dass überschuldeten Staaten in einem klar begrenzten zeitlichen Rahmen ihrer Schuldentragfähigkeit mit einem klaren Plan wieder herstellen. Ausfallrisiken sind in jeder Hinsicht eng zu begrenzen und auf das unbedingt erforderliche Maß strikt zu beschränken. Würden die finanzstarken Euro-Länder überfordert und dadurch in ihrer Bonität getroffen und herabgestuft, wären auch die Krisenländer die Leidtragenden einer solchen Entwicklung.
Eine Vergemeinschaftung von Schulden in jeglicher Form wird entschieden abgelehnt. Alle weiteren Schritte in Richtung einer Haftungs- und Transferunion müssen verhindert werden. Die Staatsregierung lehnt deshalb Eurobonds ab. Gemeinsame Anleihen untergraben die Haushaltsdisziplin in Europa, sie belohnen Länder mit unsolider Finanzpolitik und bestrafen Länder mit solider Haushaltspolitik. Gemeinsame europäische Anleihen setzten zudem die disziplinierenden Wirkung der Zinsspreads auf den Finanzmärkten außer Kraft. Eurobonds sind ungerecht, weil sie Lasten aus Fehlern anderer Eurostaaten vor allem Deutschland aufbürden und unser Land über jedes vertretbare Maß hinaus belasten würden.
Kann ein Programmland den Auflagen nicht nachkommen, müssen die Hilfen entsprechend gekürzt oder im Notfall sogar gänzlich gestrichen werden. Finanzhilfen der Gemeinschaft dürfen auf keinen Fall für eine dauerhafte Alimentierung überschuldeter Länder missbraucht werden. Die dann schmerzhaften Folgen dienen der notwenigen Bereitschaft zu mehr Reformanstrengungen. Kann die Schuldentragfähigkeit eines Landes nicht mehr hergestellt werden, ist ein geordnetes Sanierungs- und Umschuldungsverfahren einzuleiten.
Wenn ein Mitgliedstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, die Konvergenzkriterien dauerhaft zu erfüllen und seine Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen nicht herstellen kann, muss die Möglichkeit bestehen, die Eurozone unter Aufrechterhaltung seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union wieder zu verlassen.
Die Staatsregierung weist darauf hin, dass alle Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Schuldenkrise auf Grundlage einer sorgfältigen Güterabwägung in der jeweiligen Situation getroffen werden müssen. Die Stabilität der Gemeinschaftswährung muss verteidigt werden. Zugleich dürfen Rettungsmaßnahmen die Leistungsfähigkeit der helfenden Euro- Mitgliedstaaten nicht überfordern. Bereits die bestehenden Garantien stellen ein erhebliches Risiko für die Stabilität in Deutschland dar. Die Staatsregierung unterstreicht, dass sich das Prinzip der restriktiven Rettung als Vorgehensweise zur Bewältigung der Schuldenkrise bewährt hat und strikt weiter verfolgt werden muss. Sie begrüßt, dass auf dieser Grundlage Vorschläge zur Aufstockung des Rettungsschirms auf 1 Billion Euro, Vorschläge zur Einführung von Eurobonds und zur Einräumung von Banklizenzen für Rettungsschirme erfolgreich verhindert werden konnten. Die Staatsregierung begrüßt, dass im Falle Griechenlands die privaten Gläubiger erfolgreich an der Umschuldung beteiligt wurden und durch den ESM-Vertrag Umschuldungsklauseln eingeführt werden. Die Staatsregierung unterstreicht, dass in den Rettungsprogrammen strikte Konditionalitäten bei Kredithilfen durchgesetzt wurden. Die Verschärfung des Stabilitätspaktes und die Vereinbarung eines Fiskalpaktes begründen einen Paradigmenwechsel hin zu ausgeglichenen Haushalten in der Eurozone.
Die Staatsregierung nimmt zur Kenntnis, dass der dauerhafte europäische Stabilitätsmechanismus ESM bereits im Juli 2012 in Kraft treten soll. Sie nimmt ebenfalls zur Kenntnis, dass Teile der Rettungsschirme EFSF und ESM zeitlich befristet parallel laufen sollen. Dadurch soll in der Übergangszeit bis zum Aufbau des dauerhaften Stabilitätsmechanismus die Vertrauensbildung auf den Märkten unterstützt werden. Sie stimmt diesem Vorgehen mit der Maßgabe zu,dass
• die dauerhafte und substanzielle Beteiligung des IWF an der Rettungsstrategie der EU sichergestellt und die Erhöhung der Garantievolumina des IWF an den Rettungsprogrammen der EU unterstützt werden;
• die Mittel des dauerhaften Stabilitätsmechanismus im Verhältnis zu EFSF-Mitteln vorrangig eingesetzt werden und dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme der mit der Überlappung der Rettungsschirme befristet zusätzlich erhöhten Garantieversprechen gering bleibt;
• die Möglichkeit, nach Ausschöpfung der ESM-Mittel auf die bislang unverplanten EFSF-Mittel zurück zu greifen, strikt auf den Zeitraum bis Mitte 2013 begrenzt bleibt und dadurch eine faktische Überschreitung des deutschen Haftungsvolumens von 211 Milliarden Euro nicht zu erwarten ist. Die Staatsregierung unterstreicht, dass alles unternommen werden muss, um das Haftungsrisiko für Deutschland zu begrenzen.
Die Staatsregierung lehnt eine Erhöhung des Garantierahmens des dauerhaften europäischen Stabilitätsmechanismus ab. Neuen Rettungspaketen darf zudem nur zugestimmt werden, wenn die im Empfängerland vorhandenen Reserven und Finanzierungsmöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft werden. Alle neuen Rettungsprogramme bedürfen der Zustimmung des Deutschen Bundestages.
2. Die Europäische Zentralbank muss unabhängig bleiben und weiterhin der Wahrung der Preisstabilität verpflichtet bleiben.
Das Programm der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen überschuldeter Euro-Mitgliedstaaten darf nicht unbegrenzt und auf Dauer laufen, sondern muss wieder eingestellt werden. Dauerhafte Anleihenkäufe durch die EZB wären mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung nicht vereinbar und würden eine Inflationsgefahr für den Euroraum bedeuten. Zudem würden sie den Reformdruck von überschuldeten Staaten nehmen. Aus Sicht der Staatsregierung können und dürfen die aktuellen Probleme in der Eurozone nicht über die Geldpolitik gelöst werden. Eine Vermengung von Fiskal- und Geldpolitik wird entschieden abgelehnt. Die EZB muss der Wahrung der Preisstabilität verpflichtet bleiben.
Mit Blick auf mögliche Risiken aus dem Target2-System spricht sich die Bayerische Staatsregierung für eine Überprüfung der Ausgestaltung dieses Zahlungsverkehrssystems aus. Zu überlegen ist dabei insbesondere, ob ein Verfahren zum regelmäßigen Ausgleich von Target2-Forderungen der einzelnen Nationalbanken, zum Beispiel durch Übertragung vorhandener Goldreserven oder anderer Vermögenswerte, eingerichtet werden kann und soll. Einem weiteren Aufbau von Target2-Verbindlichkeiten würde auch die Rückkehr zu den ursprünglichen Anforderungen an die zur Zuteilung von Zentralbankgeld erforderlichen Sicherheiten entgegen wirken.
Die krisenbedingte Ausweitung der geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte der EZB wie zum Beispiel die jüngsten zwei Drei-Jahres-Tender oder die geringeren Anforderungen an die zu hinterlegenden Sicherheiten haben das Risiko für das Eurosystem merklich erhöht und bergen zudem Inflationsgefahren. Der Grundsatz der EZB, alle geldpolitischen Sondermaßnahmen eng zu begrenzen und zu befristen, wird von der Bayerischen Staatsregierung befürwortet. Es geht darum, die Risiken in vertretbaren Grenzen zu halten und dazu für das Eurosystem zügig ein Konzept zu entwickeln, wie die umfangreiche Liquiditätsversorgung durch die Notenbanken zeitgerecht zurückgeführt wird, damit daraus keine Inflationsgefahr entsteht.
Die Mitgliedstaaten sind gefordert, das Ihre zur Wahrung der Preisstabilität des Euro beizutragen. Dazu bedarf es vor allem einer konsequenten und glaubhaften Strategie zur Rückführung der Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Auch müssen sämtliche Hilfen für Krisenländer der Eurozone so ausgestaltet werden, dass sich kein inflationärer Druck aufbauen kann. In diesem Zusammenhang weist die Bayerische Staatsregierung ausdrücklich darauf hin, dass sie die Ausstattung der EFSF oder des ESM mit einer Banklizenz entschieden ablehnt.
3. Kernentscheidungen müssen demokratisch legitimiert in den Mitgliedstaaten getroffen werden
Die Staatsregierung spricht sich für starke und wirksame Kontrollrechte der Kommission bei der Überprüfung und Überwachung der haushaltspolitischen Verpflichtungen aus. Dabei sind die Kompetenzen der Parlamente in den Mitgliedstaaten zu achten und die Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten und deren regionaler Gebietskörperschaften zu erhalten. Erforderlicher Bürokratieaufwand ist im Hinblick auf schlanke Verwaltungen gering zu halten. Forderungen nach Eingriffsrechten der Europäischen Union in die Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten lehnt die Staatsregierung ab.
Die Staatsregierung wendet sich gegen weitere Zentralisierungsschritte, da diese die Ursache der Krise nicht lösen. Gerade das Beispiel Griechenland zeigt, dass es nicht zur Schuldenkrise kam, weil es zu wenig europäische Regelungen gab, sondern weil diese nicht bzw. nicht im notwendigen Maß eingehalten wurden. Eine weitere Verlagerung von Entscheidungen auf europäische Institutionen wird wegen mangelnder demokratischer Legitimation abgelehnt.
Alle Hilfsmaßnahmen müssen demokratisch legitimiert sein. Daher müssen alle wesentlichen Entscheidungen im ESM über Hilfskredite einstimmig getroffen werden. Änderungen des ESM-Vertrages sowie die Nutzung der vertragsimmanenten Änderungsklauseln hinsichtlich Gesamthöhe unter der Art der Finanzhilfeinstrumente bedürfen einer bundesgesetzlichen Ermächtigung mit Zustimmung des Bundesrates. Alle Rettungsprogramme bedürfen der demokratischen Legitimation durch die nationalen Parlamente, in Deutschland durch Bundestag und Bundesrat. Wesentliche Entscheidungen des ESM, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, bedürfen im Einzelfall einer Zustimmung des Deutschen Bundestages. Der Bundesrat ist umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend zu informieren, damit er hierzu im Einzelfall Stellung nehmen kann. Will die Bundesregierung von einer Stellungnahme des Bundesrates zu einer Finanzhilfe abweichen, muss sie dem Bundesrat die maßgeblichen Gründe nach Möglichkeit vor einer Beschlussfassung im Gouverneursrat des ESM mitteilen.